Revolution für das Leben

…finde ich schöner ausgedrückt als Rebellion gegen das Aussterben. Denn Aussterben macht Angst und was Angst mit den Menschen macht haben wir, nach meinem Geschmack, durch Corona genug gehabt.

 

Ob positiv oder negativ formuliert, es geht um die Verteidigung des Lebens auf dem Planeten für alle Menschen, nicht nur für die Menschen, sondern auch der Pflanzen und Tiere. extinction rebellion, eine neue ungewöhnlich Bewegung. Schon die Entstehung ist speziell, denn sie entspringt gewissermaßen einer Kopfgeburt. Zwei, drei  Handvoll Menschen haben sie in England gegründet aufgrund wissenschaftlicher Erwägungen. Sie haben festgestellt dass die Klimakrise und die voranschreitenden ökologischen Verwüstungen zwar seit Jahrzehnten bekannt sind und in internationalen Konferenzen erörtert werden, aber trotzdem nicht konsequent gehandelt wird;  Ziele und Vereinbarungen werden nicht eingehalten. Im Gegenteil, der Ausstoß an Kohlendioxid ist beständig weiter gestiegen (abgesehen vom Coronajahr 2020) und damit auch die Erderhitzung; das Aussterben von Pflanzen- und Tierarten schreitet weiter voran. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis  und dem Wunsch diese Entwicklung aufzuhalten wurde ein Konzept für eine möglichst wirksame Bewegung entwickelt. Dafür wurden drei Forderungen und zehn Prinzipien postuliert und los ging es. Und es hat tatsächlich funktioniert, die Bewegung verbreitete sich seit 2018/19 fast weltweit. Den Zielen und Prinzipien liegt das Bewusstsein zugrunde, dass die Menschheit es letztlich nur gemeinsam schaffen kann und dass es keinen Feind gibt, kein Gut und Böse, sondern alle ein Teil des „toxischen Systems“ sind, das es zu überwinden gilt. Alle Menschen tragen ihren Teil zur Zerstörung bei, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maß. Eine gemeinsame Transformation wird angestrebt. Daher ist diese Bewegung offen für alle, auf der Grundlage humanistischer Grundwerte und mehr als eine politische Bewegung, da es auch um persönliche Veränderung geht. Die Aktionsformen reichen von legalen Protesten über Blockaden bis zu zivilem Ungehorsam. Regeneration, Achtsamkeit und Kreativität spielen eine wichtige Rolle. Die Bewegung hat durch die Pandemie und die damit einher gehenden Kontaktbeschränkungen gelitten, aber sie lebt. Für mich ein Hoffnungsschimmer in diesen extremen Zeiten. Hoffentlich überlebt sie auch weiterhin die Kontaktbeschränkungen, die sind nämlich eine ziemliche Bremse für so ziemlich jede Gruppe, außer denen, die sich gegen die Infektionsschutzmaßnahmen formiert haben.

 

Mich begeistert die Verbindung zwischen politischem Handeln und heilsamen Miteinander. Vor einer Blockade haben wir, beispielsweise, eine gemeinsame Runde mit Auflockerungsübung gemacht. Das war früher anders, da bin ich entweder zum Yoga-Kurs gegangen oder auf eine Demo, aber es war nicht miteinander verbunden. In der Hausbesetzungsszene der 1980/90iger ging es zwar auch um die Verbindung von Rebellion und sozialem Miteinander, aber anders. Der Humus war das gemeinsame Leben, Alltagssolidarität und politische Aktion, aber die autonome Bewegung war in vieler Hinsicht sehr von Härte, Gewalt, heftigen Auseinandersetzungen und Männerdominanz geprägt. Das ist bei extinction rebellion anders. Härte und Gewalt sind out;  Achtsamkeit, Gewaltfreiheit und ein freundliches Miteinander angesagt, Frauen ganz vorne dabei. Früher no future, heute for future.

Allerdings wurde durch die Hausbesetzungen die Eigentumsfrage gestellt, ganz praktisch und konkret. Eine Frage die noch lange nicht befriedigend beantwortet ist, denn die maßlose, weiter wachsende materielle Ungleichheit schreit zum Himmel

 

Es gibt einige Paralellen, schon in den 1980zigern stand an der Hauswand der Hafenstraße:

 

Alles was ihr der Natur antut wird geschehen

 

Gegenwärtig, bei extinction rebellion heißt es eher:

 

Alles was wir der Natur antun wird geschehen

 

Denn in gewisser Hinsicht sind wir alle beteiligt, zumindest wir, die wir in den wohlhabenden Industrienationen leben, aber auch hier in sehr unterschiedlichem Ausmaßen. Je ärmer umso kleiner, in der Regel, der ökologische Fußabdruck. Das ist global so, aber auch innerhalb von Deutschland/Europa.

 

Ganzheitlichkeit bedeutet einen Zusammenhang herstellen zwischen innerer und äußerer Veränderung. Gemeinsam die Destruktivität überwinden und falls es nicht klappt mit dem Überleben, haben wir uns zumindest emotional weiter entwickelt und noch eine gute Zeit zusammen gehabt. Gut im Hinblick auf den Umgang miteinander, aber es fordert auch die Bereitschaft Risiken auf sich zu nehmen und Schmerzen zu ertragen. Sei es ganz konkret durch Schmerzgriffe von Polizisten oder durch die Erfahrung von Beschimpfungen und Ignoranz. Manchmal  funktioniert es aber auch, dass ein freundliches Auftreten zu einer freundlichen Resonanz führt. Dabei ist die besondere seelische und emotionale Herausforderung sich den Zustand des Planeten bewußt zu sein und andere darauf aufmerksam zu machen. Manchmal beneide ich ein wenig die Menschen, die unbeschwert konsumieren, reisen und sich vergnügen und sich keinerlei zerstörerischer Auswirkungen bewußt sind, aber anderseits ist das ja ein Teil des Problems.

Politisch setzt extinction rebellion sehr auf Offenheit und richtet sich nicht gegen jemanden. Also schon gegen die Kohleindustrie oder ähnliches, aber nicht gegen einzelne Menschen und nicht gegen einzelne Polizisten. Gegen Ausbeutung bin ich nach wie vor. Die -„ismen“  (Kapitalismus, Sexismus, Rassismus…) scheinen mir auch nach wie vor gute Beschreibungen der toxischen Strukturen. Die Frage ist nur, wie werden wir sie los, durch bekämpfen oder überwinden? Polarisiert, also "die" sich -Befreienden gegen "die" Unterrdrücker und Ausbeuter oder eben indem Menschen sich, ihre eigene Destruktivität und ihre Privilegien in Frage stellen. Beides ist wahrscheinlich notwendig und kann miteinander einhergehen. Doch bei den Autonomen und andere Anti-Bewegungen stand die Abgrenzung gegen das „Schweinesystem“ und alle Vertreter desselbigen im Vordergrund, während bei extinction rebellion ein rührender Glaube an das Gute im Menschen besteht. Was den Vorteil hat, dass entsprechend freundlich miteinander und mit anderen Menschen umgegangen wird. Streit und Spannungen gibt es auch, aber es wird versucht, damit integrativ statt ausgrenzend umzugehen. Mir kommt es manchmal naiv vor, meine Glaube an das Gute im Menschen hält sich in Grenzen, aber anderseits Glaube kann bekanntlich Berge versetzen und was gibt es für Alternativen?

 

Darum bin ich dann auch, trotz Pandemie und widriger Bedingungen, im Oktober 2020 nach Berlin zur Rebellionswelle gefahren. Sie war zwar nicht grade ein Tsunami und hat im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger Menschen auf die Straße gebracht, aber sie hat stattgefunden, trotz allem. Mit sehr gut organisierten Aktionen, einem Trauerzug für die toten Bäume, einer Blockade vor dem  Verkehrsministeriums, dem Haus der Wirtschaft und viele anderem. Von Level 0 bis Level 3, was bedeutet von vollkommen ungefährlich und legal, bis zu zivilem Ungehorsam. Jede*r kann sich entscheiden, wie weit er oder sie gehen will. Das empfinde es als gute Weiterentwicklung im Vergleich zu früheren wilden Zeiten. Es sollen schließlich alle mitmachen können, zum Beispiel Menschen mit kleinen Kindern oder Behinderungen. Ich bin auch nicht mehr in dem Alter, um auf Bäume zu klettern, aber trotzdem möchte ich handeln. Bei Protest allein bleibt es nicht und das ist auch gut so. Worte, seien sie auch noch so klug, bleiben leer ohne Taten. Handelt jetzt! - halte ich für die wichtigste der Forderungen.

 

Demonstrationen und Blockaden unter AHA Bedingungen sind eine ganz neue Erfahrung. Früher war es verboten, auf Demonstrationen eine Maske zu tragen, jetzt ist es Pflicht. Und da Klimaaktivisten verantwortungsvolle Menschen sind, tragen auch alle eine Maske und halten Abstand. Ich bin zum ersten Mal dabei und erlebe eine schöne Kombination aus Entschlossenheit, Kreativität und Menschen-Freundlichkeit. Leider muss ich nach 48 Stunden abreisen. Berlin ist zum Risikogebiet erklärt worden und ausgerechnet Schleswig-Holstein hat beschlossen, dass alle, die sich dort länger aufhalten, nach ihrer Rückkehr ins heimatliche Bundesland 14 Tage in Quarantäne müssen. Das kann ich mir nicht leisten. Zivilen Ungehorsam leiste ich gern wenn es sich lohnt, aber nicht um Corona-Regeln zu brechen, auch wenn ich diese zunehmend als willkürlich und schikanös  empfinde.

Absurderweise wird die Regelung zwei Tage nachdem ich zwangsläufig nach Norddeutschland zurückkehren musste wieder aufgehoben. Arrgrr… dann hätte ich ja doch da bleiben können. There stand me the hairs to mountains. Manchmal fällt es wirklich nicht leicht mit der Gewaltfreiheit, zumindest was böse, böse Gedanken anbelangt.

 

Ich mache trotz der sich verschärfender Lage im Herbst weiter, mein Rezept gegen Corona: Widerstandskraft stärken, das tut auch dem Immunsystem gut. Spielräume nutzen, soweit es welche gibt. Cool bleiben, Klimamäßig und überhaupt, Revolution für das Leben-Yeah!

Foto: Marily Stroux