Angst, Kontrolle und Ignoranz

Der Schreck vor der unbekannten Bedrohung, dem Neuen, nicht Einschätzbaren, hat anfangs zu Überreaktionen geführt. Meine Nachbarin zitterte als sie die Nachrichten gelesen hat. Die Massenmedien haben mit einer Katastrophen-Berichterstattung die Welle der Angst unterstützt. Ich war anfangs auch voller Schreck, weiß noch genau, wie ich die Vorstellung hatte, dass alle zur gleichen Zeit krank werden, die Versorgung zusammenbricht und viele sterben werden. Ein richtiges Katastrophenszenario eben. Als absurde Reaktion die berühmt berüchtigten Hamsterkäufe unter anderem von Klopapier. Die leeren Regale im Supermarkt intensivierten das Gefühl eines absoluten Ausnahmezustandes. Als dann stattdessen das Gegenteil passierte und niemand in meinem Umfeld krank wurde, war ich einerseits erleichtert und anderseits verwirrt. Wahrscheinlich hat diese Diskrepanz zwischen dem gefühlten Drama und dem tatsächlichen Geschehen dann auch so einige zu den Querdenkern getrieben. Mich nicht, ich dachte, okay ich bin wohl Teil eines  massenpsychologischen Phänomens, für das es Gründe, aber keine Schuldigen gibt. Außerdem habe ich schon verstanden, dass diese Virusinfektionenen sich sehr schnell vervielfachen können und ein Kollaps des Gesundheitssystems umbedingt vermieden werden sollte und war dankbar dafür, dass es nicht zu einer Situation wie in Norditalien gekommen ist.

Trotzdem war ich schon beeindruckt, wie einheitlich die Berichterstattung lief und die Kontrolle des Infektionsgeschehens zum absolut obersten Ziel erhoben wurde. Es war kaum möglich bestimmte Maßnahmen, wie das Absperren von Kinderspielplätzen, in Frage zu stellen, ohne Gefahr zu laufen als leichtfertige Ignorantin da zu stehen.

 

Nach besten Wissen und Gewissen das Richtige tun, aber wie?

 

Es gab so viele Informationen zu verarbeiten, zu begreifen, im Zusammenhang zu verstehen und vor allem zu unterscheiden in wichtig oder unwichtig, fake oder seriös.

 

Anfangs dachte ich Lockdown bedeutet so etwas wie „runter fahren“, erst später wurde mir klar dass es mit „einsperren“ übersetzt wird. Begriffe wie „Lockerung“, „Verschärfung“, „Ausgangssperre“ haben ebenso Gefängnischarakter. Die Kontrolle der Maßnahmen, mithilfe von Strafandrohungen, trägt ihren Teil zum Zwangsmodus bei.

 

Ich denke im Herbst sorgten, trotz aller Maßnahmen, heimliche Partys und unheimliche Demonstranten mit für einen rasanten Anstieg von Infektionen, Erkrankungen und Toten.

 

Die totale Kontrolle und die totale Ignoranz sind für mich zwei Seiten der Angst. Die Angst sitzt im Reptiliengehirn und das kennt nur zwei Reaktionen, Angriff oder Flucht.

 

Schön wäre ein selbstbestimmter Verzicht aufgrund von Solidarität mit Vorerkrankten und Pflegekräften/Ärzten gewesen.

 

Stattdessen schaukelten sich Ignoranten und Hygieneregler gegenseitig hoch. In Sachsen und Bayern ist es nun so weit, Klinken am Limit und Ausgangssperre.

 

Wir sollen uns nicht an das Sterben gewöhnen und jeder Einzelne ist einer zu viel“  kommt begleitend im Radio. Habe ich schon mal gehört. Moralischer Druck verkennt, dass es einerseits immer eine komplexe Angelegenheit ist, warum Menschen sich so verhalten wie sie sich verhalten und dass es nicht nur um persönliche Entscheidungen geht, sondern zum Beispiel um den Zwang zum Arbeiten. 
Ich schalte inzwischen ab und aus wenn im Radio oder in der U-Bahn der xte Appell kommt sich an die Regeln zu halten. Ich halte mich an die Regeln soweit ich noch durchblicke, manchmal zu 90 und manchmal zu 110 Prozent. Ich glaube nicht, dass eine ständige Wiederholung diejenigen erreicht, die sich aus den verschiedensten Gründen (bspw. psychisch Kranke, Obdachlose, überforderte Familien) tatsächlich nicht an die Regeln halten.

 

AHA, also Abstand + Hygiene + Atemmaske war und ist für fast alle verständlich, die verstehen wollen. Viele andere Verordnungen eher nicht. Das hat auch der nette Herr vom Gesundheitsamt gesagt: „Logisch ist das alles schon lange nicht mehr“.

 

Es hätte eine gute Lernaufgabe sein können, Demut, Verzicht und Rücksichtnahmen zu üben. Funktioniert in einer Gesellschaft die auf Konkurrenz/Wettbewerb, Leistungsdruck und individueller Freiheit beruht aber nur begrenzt.

 

Der Virus, das flinke Chamäleon, führt uns weiter an der Nase herum. Bei den Tests Positive ohne Symptome, Negative die mit Kranken zusammen leben. Er mutiert schneller als die Polizei erlaubt. Menschen in Aufruhr und Verwirrung.

 

Wahrscheinlich müssen wir lernen mit dem Virus (oder einem Verwandten) zu leben. Hoffentlich werden mehr Testmöglichkeiten und eine zunehmende Herdenimmunität etwas Entspannung bringen. Trotzdem kann es sein, dass wir zukünftig ein unsicheres Leben führen werden.

Ich denke zu rigide Kontaktbeschränkungen sind langfristig sehr ungesund. Für die seelische Gesundheit jeder und jedes Einzelnen, für die Demokratie, für die kulturelle Vielfalt und um die dringenden Probleme der Gegenwart zu bewältigen. Vor allem die ökologische - und Klimakrise.